Zurück zum wohl ungewöhnlichsten Blog über Markenkommunikation. Meine Love Brand, meine für diesen Blog ausgesuchte Lieblingsmarke, ist ein Seepferdchen. Ich traf es vor knapp zwei Jahren in einem Zoo, vor gut einem Jahr übernahm ich seine Patenschaft und taufte es Willi. Okay, eigentlich sagte ich liebevoll »Pferdefresse« zu ihm, deshalb benannte ich auch den Blog so. So fing alles an. Seither ist so viel passiert: So viel, was eine Love Brand erfahren, lernen, erleben, amüsieren oder schockieren kann. Im heutigen Artikel geht es darum, wie Willi sein Team zum endgültigen Ausweg aus seiner Krise mobilisiert: mit Sozialkompetenz und perfektem Timing. Was soll ein Seepferdchen auch sonst einsetzen…
Keine Lust zu Lesen? Hier ist die Audio-Datei zum folgenden Blog-Beitrag:

In jedem Fall sind Taten besser als Geschwätz.
Nur die Medien sehen das anders.
Leg nach
Ich haste vorbei am Seetang und frage mich, ob es in Asien Menschen gibt, die diese beeindruckende Energiequelle in ihren Unterwasserfeldern nicht nur als Beilagensalat zum Seepferdchen-Schnitzel züchten. Oder im Westen? Liebe Menschen, seid ihr intelligent oder hungrig? Ah, jetzt weiß ich es wieder: Ihr habt Angst vor Neuem, wegen der unvorhersehbaren Rückschläge, richtig?
Ich habe keine Zeit, mich mit der Antwort zu beschäftigen. Ehrlich. Wie gesagt, ich haste. Es ist erst wenige Zentimeter her, als ich meinem Paten direkt gegenüber schwebte. Ich meinte ihn noch einmal von seinem Lebkuchen abbeißen zu sehen, ehe ich abdrehte.
Also doch hungrig, das Volk.
Und schon meldet sich mein Magen. Nicht, dass ich verhungern würde und mich versucht sehe, einen Bissen Seetang zu probieren. Mein Magen hat sich einfach an regelmäßige, großzügige Mahlzeiten gewöhnt. Es war der süße Nachtisch meines Erfolges. Unseres Erfolges. Die Love Brand hat gerockt.
For Those About To Rock… We Salute You.
Na Servus, da meldeten sie sich wieder, die Hard Rocker in mir. Jeden Zentimeter, den ich mich von meinem Paten entfernte und näher an mein Team komme, höre ich den inneren Rock lauter werden. So als würde mich die Band in mir zur Zugabe auffordern, nicht die Fans. Will mir mein tiefstes Verständnis von Kultur mitteilen, dass ich noch nicht alles gezeigt hätte, dass ich noch einmal nachlegen kann?
Willi will. Willi will auf keinen Fall die Bühne verlassen, nur weil einige Menschen da draußen glauben, die Bühne mutwillig abreißen zu müssen. Aber was ist, wenn mein Team genau davor Angst hat? Was ist, wenn die Angst vor Rückschlägen größer ist als die Motivation die Love Brand gemeinsam weiterzuentwickeln?

Nur da, wo Leben auf der Bühne ist,
sind auch Fans, um dich zu feiern.
Angst beginnt im Kopf, Mut auch
Die Antwort offenbart sich mir in einem kurzen, fast schnippischen Dialog im Team. Das Methusalem-Seepferdchen im Team, das erfahrenste und wahrscheinlich deshalb das kritischste meldet sich zu Wort.
»Wann starten wir?«
»Jetzt gleich…«
»Und wie?« Ich spüre Zweifel. Ich spüre, wie sein Arbeitsspeicher arbeitet und die Festplatte nach bekannten Szenarien durchforstet.
»Als Love Brand. Ehrlich, mir kommt es vor, als hätten wir vor wenigen Wochen erst damit angefangen, Love Brand zu werden. Jetzt ist ein bisschen Trouble da draußen und wir klemmen ab.«
Betretenes Schweigen. Dann meldet sich unser rationalstes Teammitglied.
»Haben wir Fans?«
»Wir haben noch welche, ganz sicher. Hast du Ideen, welche neuen Fans wir in der aktuellen Situation gewinnen können?«
»Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Zeit, in einer sehr starken Krise. Meine Analyse ergibt…«
»Dass es genau der richtige Zeitpunkt ist, sich bewusst zu positionieren«, unterbreche ich ihn als er anfängt im Sand eine Linie zu ziehen, um auf der einen Seite Muscheln für jedes Dafür-Argument und auf der anderen Seite die Show-Stopper-Steinchen zu sammeln.
Ich bin bis in die Schwanzspitze motiviert. Überzeugt noch dazu. Meine Erwartung ist eigentlich, dass sofort alle in Position rücken und performen was das Zeug hält. Aber gar nichts passiert.
Halt, das ist so nicht richtig.
»Viel Erfolg«, sagt der Erfahrene wieder. Und dreht ab. Ein offensichtlicheres »Danke fürs Gespräch« habe ich selten erlebt. Die anderen drei tun sich schwer, Position zu beziehen, das erkenne ich. Wem gilt die Solidarität? Dem Team? Einem Einzelnen? Dem übergeordneten Ziel? Unseren Prinzipien und Werten als Love Brand?
Danke, sage ich leise zu mir selbst und fühle mich allein. Verloren. Ein Lebkuchen liebender Mensch ist meine letzte Chance. Naja, besser als nichts in so einem von Frust und Wut dominierten Strudel der Gefühle.
Hin- und hergerissen zwischen Bleiben und Ausrasten oder Abdrehen und Losheulen stelle ich fest, dass mein Pate noch an der Scheibe steht. Ich schwimme auf ihn zu, vermeide Blickkontakt, weil ich mich ertappt fühle. Ertappt als gescheitert. Wenn jetzt der erhobene Zeigefinger kommt, wenn jetzt einer bei mir den falschen Knopf drückt… Ich schwör Leute, ihr habt noch nie ein Seepferdchen flippen sehen.
Als ich wieder an der Scheibe bin, stelle ich das komplette Ausmaß der Krise fest: Soweit ich erkennen kann haben sich die Fische in den anderen Aquarien ebenfalls zurückgezogen. Niemand zu sehen. Ich blicke in eine künstlich inszenierte Rifflandschaft. Die Geschehnisse haben sich herumgesprochen und Wirkung gezeigt. Wir haben uns zuerst versteckt – inzwischen machen alle anderen mit.
Was für eine tolle Bühne für Qualitätsprodukte wie mich. Nur, wo kein Leben auf der Bühne ist, sind eben auch keine Fans davor. Dafür brauche ich kein Wissenschaftler zu sein, um diese Logik zu kapieren.
Dort, wo sich zuletzt die Massen drängten, unter anderem wegen uns, steht jetzt nur Einer. Und der hält kein Fanplakat hoch, sondern einen Lebkuchen.

Das schwierigste an einer Krise ist,
Verständnis für alle Betroffenen aufzubringen,
selbst verstanden zu werden
und zu verstehen, um was es geht.
Ums Team.
Nutze sozial-kommunikative Kompetenz
Was passiert ist, will er wissen. Wo mein Elan geblieben sei, fragt er. Der sei ausschließlich noch im Seetang, antworte ich und kann nicht einmal mehr über meine eigenen Witze lachen. Aber dennoch erzähle ich ihm natürlich von den skeptischen Reaktionen vor wenigen Augenblicken.
»Sorgen sie sich? Sind sie neugierig? Wollen sie es besser wissen oder geben sie dir eventuell versteckte Hinweise, welchen Weg sie mitgehen würden?«
»Ich habe den Eindruck, sie haben mit der Love Brand-Idee gebrochen und suchen nach Alternativen.«
»Was hält dich davon ab, die Alternative zu sein?«
»Du hast gut reden. Ich dachte immer, sich selbst zu vermarkten ist die beste Bewerbung«, entgegne ich und sehe nicht im Geringsten ein, weshalb ich mich auf seine Fragen einlassen soll. Kann doch nicht sein, dass immer alles von mir abhängt.
»Willi, wir haben das doch schon durch: Es kommt darauf an, was du daraus machst… und wie du es machst.«
Also hängt doch alles von mir ab. Na Glückwunsch.
»Kennst du Empathie?«
»Nicht persönlich, wieso?«
»Schwierige Situationen erfordern deine sozial-kommunikative Kompetenz.«
»Sozio-was?«, laber nicht schon wieder, denke ich, tu lieber etwas. Oder formulier es doch zumindest so, dass es ein bemitleidenswertes Seepferdchen wie ich versteht.
»Warnen oder verunsichern sie dich?«
Ich lasse die Frage so stehen und bei mir wirken.
»Wo ist dein Einfühlungsvermögen geblieben? Wo deine Bereitschaft, die Empfindungen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden?«
Einfühlungsvermögen. Pah. Ich sorge mich doch selbst um meine Zukunft. Wer fühlt eigentlich gerade mit mir?
»Ich hab‘ ja verstanden, dass du gefrustet bist. Ich weiß selbst, dass du in der Situation aktuell weder Entertainer, noch Motivator oder Leitfigur sein kannst. Solche nicht willkommenen Emotionen benötigen Raum. Nichts, was du jetzt sagst, wird dir oder gar deinem Team die Ängste nehmen.«
»Na also, dann hält die Pferdefresse jetzt am besten mal das Maul.«
Du bist mir ja eine Hilfe, mein Freund. Sagst mir ganz unverfroren, dass es im Grunde genommen egal ist, was ich jetzt sage.
Schwimm gegen den Strom, der sich Mainstream nennt
»Vielleicht wären ein paar Taten sowieso besser als loses Geschwätz… Auf was hättest du gerade jetzt Lust?«
»Krabben. Bis ich platze – dann ist das Thema endgültig erledigt und wir treten alle mit einem großen Knall von der Bühne ab. Der Vorhang fällt und das Licht geht aus.«
Wie von Zauberhand kommen in diesem Moment ein paar wenige Krabben ins Becken. Zaghaft strecke ich mich nach einer, kaue, schlucke, denke. Ich beobachte, wie es mir die anderen im Team gleich tun.
»Komm‘ wir spielen eine Runde ›Wenn ich du wäre,…‹«, schlägt der Pate vor.
»Okay, ich fang an: Wenn ich du wäre würde ich mit dem Coaching-Blabla aufhören und Verantwortung übernehmen. Für mich. Geh‘ mehr Krabben besorgen!«
»Einverstanden, das werde ich. Unter einer Bedingung: Wenn ich du wäre, würde ich Verantwortung für mich selbst übernehmen und begreifen, dass du nicht die Welt ändern kannst, deine Haltung ihr gegenüber aber schon. Wenn ich du wäre, würde ich meinen Mut zusammennehmen und gegen den Strom schwimmen. Rock it!«
Moment, das waren zwei Aufgaben. Doch bevor ich mich über diese unfaire Retour-Kutsche beschweren kann, dreht der Pate winkend ab. Im Davonlaufen war er schon immer wesentlich schneller als ich.
Was soll ich machen? Nicht einmal, wenn ich davonschwimmen wollen würde, würde ich weit kommen.
Gegen den Strom, das ist eigentlich nichts Neues für eine Love Brand. Der Strom lässt sich sogar benennen, er nennt sich »Mainstream«, schon von gehört, oder?
Hm… So wie es hier draußen aussieht, schwimmen gerade alle im Mainstream. Nur ich wieder nicht.
Ich gebe zu, ich bescheiße. Entgegen der Spielregeln von »Wenn ich du wäre,…« widersetze ich mich der Aufgabe und schwimme die nächsten Minuten planlos auf und ab, um zumindest meine innere Zerstörungswut abzubauen.
Ich meine, das klingt doch immer alles so logisch: Zeige dich, wenn es die anderen nicht tun und du wirst leichter und besser gesehen. Aber es ist trotzdem Fakt, dass das einfach kaum einer macht. Um präziser zu sein – niemand.
Gutes Timing alleine reicht eben nicht, es braucht halt auch gute Ideen.
Entwickle Empathie
Moment, da kommt wir was. Also eine Idee, um genau zu sein. Während mein Pate artig seiner Aufgabe nachgeht, suche ich das Gespräch mit meinem Team. Nicht in der Gruppe, mit jedem einzeln. Was ich dabei gelernt habe ist Folgendes: Behandle jeden so, wie er selbst behandelt werden möchte. Scheiße-Brüllen ist dabei erlaubt, wenn es um die Sache geht. Und um was soll es sonst gehen? Um mein Ego? Leute, ich bitte euch… Wir haben immernoch eine Krise!
Ach, und wir haben eine Love Brand. Mit dieser Dingsbums-Kompetenz. Sozial und kommunikativ. Ihr wisst schon.
Was soll ich euch sagen? Die Love Brand geht endgültig back on stage – im Team. Weil wir selbst unsere größten Kritiker sind.
Der Umgang mit einer Krise ist letzlich Typsache. Vor was also haben wir Angst?
»Wenn ich du wäre,… würde ich mich mit dem Begriff ›Empathie‹ etwas intensiver auseinandersetzen…«.
Das schwierigste an einer Krise ist nicht, sie richtig einzuschätzen oder die Konsequenzen vorherzusagen. Es ist auch nicht schwierig, die Ursachen dafür zu finden oder am Ende gar einen Schuldigen auszumachen. Das schwierigste ist, Verständnis für alle Betroffenen aufzubringen, selbst verstanden zu werden beziehungsweise verstanden zu haben, um was es geht. Das Timing für die Kommunikation in einer Krise kann jeder selbst bestimmen. Leiden zu lernen ist Teil des Prozesses, sich neu zu erschaffen. Das hat Willi heute selbst erfahren. Ebenso wie, dass es nicht darum geht, die Love Brand in solchen Situationen grundsätzlich in Frage zu stellen. Es geht darum, bekannte Mechanismen zu überprüfen, das Team zu involvieren und jeden mit einzubeziehen. Vor einer Krise, besonders während einer Krise, und natürlich auch danach. Das motiviert ungemein. Und motivierte Marken sind mindestens so gefragt wie deren sozial-kommunikative Kompetenz.
Ausserdem gibt’s den Blog-Artikel als Audio-Podcast auf